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Liebeserklärung an Othello, meinen ManagerLesung19.3.2015 009


Othello ist ein Marienkäfer.

Othello ist mein Marienkäfer.

Othello ist meine Muse.

Das Schönste an ihm ist sein Gesicht, bzw. sein Gesichtsausdruck. Er hat zwei schwarz-weiße Glasaugen, eine kugelrunde rote Nase und einen großen lächelnden Mund. Je nach Lage der Dinge schaut er mich ganz unterschiedlich an. Mal will er sagen: sitz nicht so faul rum, tu mal wieder was, arbeite! Mal lacht er mich bloß an und verbreitet gute Laune, besonders, wenn es mir mal nicht so gut geht.

Er ist Mahner, Freund, Komplize und vor allem mein Glücksbringer, denn dafür habe ich ihn gekauft vor ein paar Jahren in Rottweil, unterhalb vom Schwarzen Tor. Da hing er zusammen mit vielen Artgenossen draußen vor dem Geschäft an einer Stange. Er hat mich am durchdringendsten angesehen, und ich konnte nicht widerstehen.

Er soll mir Glück bringen bei der Vermarktung meiner Bücher. Deshalb ist er bei allen wichtigen Aktionen dabei. Bei Autorenlesungen fährt er mit. Er sitzt auf dem Tisch, an dem ich sitze, oder in Emmendingen, beim französischen Abend im Café am Marktplatz, saß er sogar auf der Theke mit einem tollen Rundblick über das Geschehen. Sind sehr viele Menschen da, bleibt er lieber im Auto und lässt sich anschließend alles haarklein berichten.

Othello erobert sofort alle Herzen. Sein Mienenspiel kann er dadurch variieren, dass er die zwei Fühler auf seinem Kopf unterschiedlich ausrichtet. Die Fühler oder „Klöppel“, wie ich sie nenne, weil sie mich an die Klöppel erinnern, mit denen wir im Musikunterricht das Orffsche Schlagwerk bearbeitet haben, bestehen aus schwarzer Schnur mit zwei kugelrunden roten Pompons am Ende, die so groß sind wie seine Nase. Hängt er sie weit nach vorne ins Gesicht, wirkt er eher traurig und man bekommt Lust ihn tröstend zu knuddeln. Hängt er sie weit nach der Seite, wirkt er fröhlich und richtig übermütig. Er kann seine Klöppel auch asymmetrisch anordnen – einen ins Gesicht und einen nach außen. Dann sieht er ganz verwegen aus, zu allem bereit!

OthelloFors 002Othello ist viel im Haus, aber natürlich auch draußen im Garten, um frische Luft zu schnappen, Verwandte und Freunde zu treffen und natürlich um zu futtern. Othello ist sehr verfressen, man kann es nicht anders ausdrücken. Er mag Nektar aus den Blüten und die können ihm gar nicht exotisch genug sein. Alles wird probiert. Besonders aber liebt er Blattläuse. Und in diesem Jahr gibt es unendlich viele: grüne auf den Rosen, schwarze auf den Disteln, orangefarbene auf dem Oleander und graue auf den Lupinen. An denen hat er sich neulich den Magen verrenkt und ihm war ganz schlecht. Ich hatte Sorge, dass er austrocknet, der kleine Kerl, weil er gar nichts mehr zu sich nehmen wollte.

Othello macht, im Gegensatz zu seinen Artgenossen, mir zuliebe keinen Winterschlaf, denn ich brauche ihn zur Unterstützung meiner Arbeit. Außerdem freut er sich über die Blumensträuße, die dann aus dem Blumenladen kommen und er schläft jede Nacht in einer anderen Blüte. Manchmal sind die Blütenblätter zu zart und zu leicht, und dann purzelt er mitten im Schlaf unsanft auf die Tischplatte.

Die Blumensträuße reichen ihm nicht als Nahrung für den Winter. Also muss er den ganzen Sommer über Vorräte anlegen. Dafür sammelt er in erster Linie Blattläuse ab, die Kollegen helfen ihm dabei und probieren tüchtig von seinen gewagten Rezepturen. Othello ist sehr experimentierfreudig. Er trocknet die Läuse nicht nur in der Sonne, er röstet und räuchert sie auch auf dem Grill, wobei er die Geschmacksnoten verschiedener Hölzer ausprobiert, mal nimmt er Holunder, mal Holzspäne von Eiche oder Buche aus dem Stapel mit Feuerholz.

Auch Konserven macht er sich, wobei die schönsten die geschichteten sind, da wechseln grüne, schwarze und orangefarbene Läuse im Einmachglas ab. Eine Pracht für die Augen! Er hat auch schon welche süß-sauer eingelegt, das hat er bei mir abgeguckt, und dann „Läuse-Chutney“ aufs Etikett geschrieben. Wenn er im Sommer mal eingeladen ist zu einer Sause, dann nimmt er so ein Glas für die Gastgeber mit.

Das Dollste aber sind seine Schnäpse und Liköre! Letztere sind eher für die Marienkäfer-Damen gedacht, weil sie nicht so hochprozentig sind. Jede Läusesorte schmeckt anders, und so schmeckt der Schnaps von grünen Läusen natürlich auch anders als der von den schwarzen, habe ich mir sagen lassen. Die Schnäpse eignen sich zum Verdauen, zum Feiern, zum Frustrunterspülen – das ist bei Marienkäfern nicht viel anders als beim Menschen.

Probleme gibt es immer noch mit den grauen Läusen, die, von denen ihm neulich so schlecht geworden ist. Othello denkt, dass man sie eben einfach nicht roh essen darf, aber gekocht oder gebraten geht es ja vielleicht. Der Garten sitzt nämlich voll davon, und es wäre doch ein Jammer, nichts damit anzufangen.

Am schlimmsten ist es, wenn Othello Liebeskummer hat, hatte – muss ich der Genauigkeit halber sagen. Denn Othello hat letzten Sommer geheiratet, und Marienkäfer binden sich fürs Leben. Das ist nicht ganz so wie bei den Menschen. Geschiedene Marienkäfer gibt es nicht, oder kennen Sie einen?

Seine Junggesellenzeit war furchtbar. Entweder brach er den Frauen das Herz oder sie ihm. Der Läuseschnaps-Konsum war beträchtlich, und ich fürchtete um seine kleine Leber. Ich musste ein ernstes Wörtchen mit ihm reden. „Othello, hör mal, so kann es nicht weitergehen.“ Seine Klöppel hingen weit ins Gesicht, er sah so geknickt aus, dass ich fast weinen musste. „Ich kann kein gutes Buch schreiben, wenn du so schlecht drauf bist. Außerdem stinkst du nach Schnaps und bist die meiste Zeit verkatert!“ Er schaute mich herzzerreißend an und sagte nichts. Es wäre mir lieber gewesen, er hätte einen Gefühlsausbruch gehabt. „Othello, das Leben als Single bekommt dir nicht. Du brauchst eine feste Partnerin, wie es sich für einen anständigen Marienkäfer gehört. Wenn du in unserem Garten nicht die Passende findest, dann zieh los und schau dich in der Fremde um. Flieg in andere Gärten oder hinaus in Wald und Flur und schau dich um. Wär’ das nicht was? Und du kommst erst zurück, wenn du die Richtige gefunden hast. Solange komm ich schon alleine klar. In dem Zustand kann ich dich sowieso nicht gebrauchen.“

Nach drei Wochen kam er zurück, ich dachte schon, ich sehe ihn gar nicht mehr wieder. Er kam um die Mittagszeit durchs schräg gestellte Fenster hereingeflogen, hinter ihm folgte ein zweiter Marienkäfer. Sie landeten direkt vor mir auf meinem Manuskript und Othello sagte: „Darf ich vorstellen? Dies ist meine Herzensdame. Kennen gelernt haben wir uns in einer blauen Glockenblume und geheiratet wurde auf rotem Mohn. Sie wollte das so, sie ist so wahnsinnig romantisch. Wie findest du sie?“ Ich fand sie wunderschön, und ich sagte es ihm. Er war sehr stolz, lächelte und war ganz wieder der alte. 

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