Leseprobe

Der Rosé von Corent

Freunde haben uns mitgenommen in ihr Lieblingsrestaurant nach Corent. Ohne die Hilfe Eingeweihter wäre es wohl kaum zu finden, und selbst dann würden wir uns in diesen alten Schuppen gar nicht hineingetrauen. Eine Außenbeleuchtung fehlt total. Es gibt weder ein Schild mit dem Namen der Besitzer oder des Restaurants, geschweige denn eine Speisekarte. Wir gehen ein paar Stufen hinunter und öffnen eine schwere Holztür. Dahinter liegt ein einziger Raum mit einem Gewölbe, eine ehemalige cuvage, da hat man früher den Wein „zubereitet". Im Kamin, aus Naturstein gemauert, brennt ein gemütliches Feuer. Darüber brutzeln in respektierlicher Entfernung die gigots d'agneau – die Lammkeulen, am Faden aufgehängt, gerade so, daß sie garen, aber nicht verbrennen und ihr Fett tropfenweise das gratin de pommes de terre – den Kartoffelauflauf – in einer großen Rechteckform saftig und knusprig macht. Wer bis jetzt noch keinen rechten Appetit hatte, der bekommt ihn spätestens bei diesem Anblick. So ungefähr muß es schon vor hundert Jahren zugegangen sein.

Auf den langen Holztischen stehen leere Glasflaschen – eine Weinkarte gibt es nicht. Aber eine Treppe tiefer sind zwei große Fässer aufgebockt, eins mit Rotwein, das andere mit Rosé gefüllt, dem berühmten Rosé de Corent. Jeder kann trinken, soviel er will, holen muss man den Wein allerdings selber. Das ist zu Beginn des Abends kein Problem. Die männlichen Gäste, fast alle in Anzug und Krawatte, kümmern sich gemessenen Schrittes um diese unweibliche Aufgabe, steigen hinab in den feuchten Keller und servieren den Damen den gewünschten Tropfen.

Nur verändert sich die Szenerie im Laufe des Abends beträchtlich. Der Gang der Weinholer wird lockerer, die Mienen entspannter, die Krawatte fehlt auch schon, und zu späterer Stunde erkennt man deutlich, wozu diese TreFrankr.Lesepr.TOMppe ein so stabiles Geländer hat! Runter kommen sie alle irgendwie, nur das Wiederhinaufsteigen mit einer vollen Flasche in der Hand entwickelt sich zunehmend zum regelrechten Spektakel, so dass die Blicke, die zunächst am Kaminfeuer und den triefenden Lammkeulen hingen, nun in die andere Richtung gehen und den Gehbehinderten gilt, die den Aufstieg aus dem Weinkeller versuchen.

Natürlich erzählen wir den Freiburgern von diesem tollen Restaurant, und die sind schon ganz scharf darauf, da endlich hinzukommen. Außer mit dem grenzenlosen Weinkonsum haben wir sie auch noch mit dem Dessert heißgemacht. Aber als wir zum Nachbartisch schauen, wo eine Runde Japaner etwa gleichzeitig mit uns ihre Mahlzeit verzehrt, da sehen wir mit Entsetzen, daß die Eis aus Pappbechern in sich hineindrücken! So geht's ja auch nicht! Deshalb sind wir nicht hier. Die Bedienung wird gerufen, und wir erkundigen uns mit viel Honig in der Stimme, ob wir nicht das supertolle Spitzen-Dessert vom letztenmal kriegen könnten, unser Besuch aus Deutschland wäre extra deswegen gekommen und noch eine Weile so weiter. Das Fräulein taut sichtlich auf, fühlt sich gebauchpinselt, lächelt, nickt dann sogar und entschwindet. Und sie kommt nach einer Weile zurück mit einem Omelette norvégienne – einem in Meringe gehüllten Eisblock, der im Grill überflammt und am Tisch flambiert wird. Den Japanern am Nachbartisch fallen fast die Plastikgriffel aus der Hand, als sie unser Dessert erblicken!

Was die paradiesische Schluckerei angeht, so müssen wir uns leider sagen lassen, dass die Exzesse wohl dermaßen schlimm waren, dass man sich gezwungen sah, die Weinmenge nun doch zu begrenzen, ein Liter für vier Personen ist im Menupreis enthalten, alles weitere muss extra bezahlt werden. Holen darf man ihn noch immer selbst, aber naja, das ist doch nicht mehr dasselbe. Beim Bezahlen fragt uns die Bedienung nun, wie oft wir denn „unten" gewesen wären … Es muss orgiastisch gewesen sein, dieses „free climbing" auf der Holztreppe, denn der Chef ist kein Mann von Traurigkeit. Wenn er Freunde zu Gast hat und die Stimmung dem Höhepunkt zustrebt, dann ergreift er den Säbel und öffnet mit einem Streich die Champagnerflasche – sabrer le champagne nennt man das. Leider haben wir noch nicht zu den Teilnehmern einer solchen Runde gezählt.

Daniel möchte unser Kultur-Defizit diesbezüglich bei der nächsten Gelegenheit ausgleichen. Das Hioble hat Geburtstag, aber erst in ein paar Minuten, dann ist Mitternacht. Wir sitzen mit Freunden in der großen Küche von Daniel und Christiane um den drei Meter langen Esstisch herum. Die Champagnerflasche ist schon bereit, und Daniel will sie würdevoll öffnen. Die Sache hat nur einen Haken – er hat keinen Säbel! Stattdessen kramt er das größte Küchenmesser hervor und rumst die Schneide gegen den Flaschenhals! Alle blicken gebannt auf den Zeremonienmeister. Nichts tut sich. Daniel holt weiter aus und schlägt sich selbst die Flasche aus der Hand! Sie fällt krachend auf den Fliesenboden, zerbricht aber nicht. Nun kriegt Daniel langsam die Wut und wir die Angst. Wir verkriechen uns hinter Stuhllehnen und Türpfosten. Daniel versucht noch einige Male, den Flaschenhals mit dem Riesendolch zu köpfen. Aber die Flasche fällt nur immer wieder zu Boden. Endlich, endlich schafft es Christiane, ihrem Mann das Messer abzunehmen und ihn zu überreden, die Flasche „klassisch" zu öffnen. Aber das ist nach all dem Geschüttel nun auch nicht mehr möglich. Kaum ist der Draht entfernt, saust der Korken davon und der Champagner über das neue Hemd vom armen Jacques, der wie ein begossener Pudel dasitzt. Er könnte jetzt gut seine Ärmel auslutschen. Die Reste in der Flasche reichen natürlich nicht hin und nicht her. Die zweite Flasche macht dann allerdings Christiane auf …

Das etwas andere Öffnen einer Champagnerflasche gelingt nicht nur mit einem Säbel, einem militärischen Gruß und in Gegenwart hoch dekorierter Offiziere. Ein großes Küchenmesser tut es auch. Die Flasche sollte gut gekühlt sein und nicht allzu stark bewegt werden wegen des „Formel-1-Effekts“: alles spritzt raus, keiner hat was im Glase! Man löst die Ummantelung des Korkens und das Drahtgestell, legt nun die Flasche auf den linken Unterarm, so dass der Daumen unten in den Flaschenboden greift, die anderen vier Finger dienen als Auflage. Nun fährt man mit dem Messerrücken die Flasche entlang bis zum Hals der Flasche und haut mit einem kurzen kräftigen Hieb gegen den Rand unterhalb des Korkens. Dieser fliegt samt Glasrand davon, ohne Splitter zu erzeugen. Man achte auf die Schussrichtung!

Rezept für das Omelette norvégienne wie in Corent

Man nimmt eine ovale oder rechteckige flache feuerfeste Form und legt sie mit Löffelbiskuits aus. Diese tränkt man tüchtig mit Himbeergeist. Darauf gibt man einen Block Vanille-Eis, eine Schicht frische Erdbeeren und einen zweiten Block Eis. Fünf bis sechs Eiweiß werden mit einer Prise Salz und Zucker nach Belieben
steifgeschlagen, am besten im Wasserbad. Das Eispaket dekorativ mit dem Schaum umhüllen, mit der Gabel Spitzen hochziehen. Ab in den glühendheißen Backofen oder unter den Grill. Nicht weglaufen! Nach wenigen Minuten werden die Eiweißspitzen braun. Das Dessert auftragen und bei Tisch mit erhitztem Rum oder Cognac flambieren.

omelette